Skip to main content

Ruderer auf der Achterbahn der Gefühle

von UTE GALLBRONNER

Marcel Hacker und das Frauen-Großboot folgten dem Deutschland-Achter ins Tal der Tränen bei den Ruder-Wettbewerben in Shunyi. Dafür sorgten Vierer und Zweier für unerhoffte Glücksmomente.


Marcel Hacker, ein Häufchen Elend: Das Finale verpasste der eigenwillige Skiff deutlich. Foto: dpa

Die Köpfe konnten eigentlich gar nicht tiefer hängen bei den deutschen Riemen-Ruderern im Olympischen Dorf. Das sportliche Drama um den Deutschland-Achter, der im Hoffnungslauf kläglich gescheitert war, dazu die Ätsche-Bätsch-Haltung der ausgebooteten Konkurrenten aus der Heimat. Aber als ob das noch nicht genug gewesen wäre, wurde die Vierer-Crew auch noch von einem Bakterium befallen.   Der Leverkusener Toni Seifert bekam über Nacht hohes Fieber, Filip Adamski machte sich zwar auf den Weg zum Ruderpark, musste dann aber wegen Magenproblemen aufgegeben. So mutierten Richard Schmidt und Marco Neumann von Kühlwesten-Trägern zu Olympioniken. Gregor Hauffe übernahm die Rolle des Schlagmanns von Adamski, dahinter nahm wie gewohnt Urs Käufer (Ulm) Platz und die Neulinge, frisch von der U-23- WM, ruderten hinten was nur ging.

"Wir haben an gar nichts mehr geglaubt. Wir wollten nur ein beherztes Rennen fahren und uns nicht abkochen lassen", erzählt der Ulmer: "Aber dann lagen wir plötzlich nicht eine Länge hinter den Holländern, sondern vor ihnen." Und dort blieben sie auch. Schon wenige Meter bevor die erlösende Tröte ertönte, riss Käufer die Arme hoch: Der Vierer ohne hat das Wunder geschafft und steht im Finale. "Dass wir so ein Ding abgeliefert haben, das kann ich einfach nicht glauben. Wahnsinn", wiederholte Käufer immer wieder. Emotionen pur. In welcher Besetzung am Samstag gerudert wird, das entscheidet der Arzt.  

Der Rest der Riemen-Crew wollte sich da nicht lumpen lassen: Tom Lehmann und Felix Drahotta zauberten mit einem unbekümmerten Auftritt ein Lächeln auf das Gesicht von Christian Viedt. Der Coach, der mit seinen Achter-Jungs leidet, durfte sich über einen weiteren unerwarteten Finalplatz freuen. "Mit 19 schon in einem Olympia-Finale, das ist eigentlich zu gut", meinte der Rostocker Drahotta grinsend.  

Unbekümmert und ohne Erwartungsdruck waren die beiden gerudert, ebenso wie später der Not-Vierer, der noch nie gemeinsam im Boot gesessen hatte. Sie haben geschafft, was von anderen erwartet worden war. Von Marcel Hacker beispielsweise. Mehr als drei Sekunden fuhr der egozentrische Skiff hinterher. Nach dem Aus bot er ein ähnliches Bild wie die Kollegen tags zuvor: Zusammengesunken hing der 1,96-Meter-Mann da und starrte fassungslos aufs Wasser.  

"Ich habe bis zum Schluss gefightet, es hat nicht gereicht. Jetzt muss ich erstmal mit meinem Trainer analysieren, woran es gelegen hat", sagte Hacker, der sich losgelöst vom Rest der deutschen Ruderwelt vorbereitet hatte.  

Neben den beiden prestigeträchtigsten Bootsklassen ist auch der Frauen-Achter nur noch als Beiprogramm zu sehen, ebenso der Doppel-Zweier der Männer. Fünf Boote sind dagegen im A-Finale, vier können heute nachziehen. Trotzdem sind die glorreichen Zeiten vorbei, das war schon bei der Heim-WM in München augenscheinlich.  

"Aus ganz bitteren Niederlagen sind schon große Sieger hervorgegangen", versuchte Sportdirektor Michael Müller seine geknickten Achter-Crew wieder aufzurichten. Ein wenig hilflos wirkte der Versuch. "Das tat natürlich weh, da explodieren die Emotionen, und es geht kreuz und quer. Achter gewonnen ist Olympia gewonnen, so ist das nun mal in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland", räumte Verbands-Präsident Siegfried Kaidel ein. Die kurzfristige Umbesetzung sei sicher ein Risiko gewesen, gestand der Chef zu, wies aber darauf hin, dass Müller nur vier Positionen wechseln wollte. Zwei blieben sowieso drin, "aber Philipp Stüer und Thorsten Engelmann haben aus persönlichen Gründen oder aus Solidarität zu den anderen leider abgesagt. Eine Mischung wäre ideal gewesen." Die Fronten waren längst verhärtet, die Lager gebildet - die Verantwortung dafür muss sich wohl Ex-Coach Dieter Grahn anlasten lassen.  

Zur Person von Müller, dessen Rücktritt die alte Crew gestern in verschiedenen Medien gefordert hatte, wollte Kaidel nicht direkt Stellung nehmen. Aber es ist kein Geheimnis, dass der Verband schon vor den Spielen nach einem hauptamtlichen Cheftrainer für alle Bootsklassen gesucht hat: "Der Sportdirektor wird dann keine sportfachliche Verantwortung mehr tragen."  

Kaidel ist nicht bange um die Zukunft seines Sports, man sei dabei, aus den nicht so fetten Jahren der Gegenwart die richtigen Schlüsse zu ziehen. "Natürlich gibt es keine Garantie für den richtigen Weg. Aber wir haben ja auch hier noch einige olympische Entscheidungen. Vergessen wir die anderen Bootsklassen nicht."

 

  • Geändert am .
  • Aufrufe: 3605