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Olympische Familienbande

von UTE GALLBRONNER

Eva Nitschke ruderte 1976 für Deutschland, ihr Sohn Urs 2008

Der olympische Geist hat die 19-jährige Eva Nitschke in Montreal gefangen genommen. 32 Jahre später spürt sie ihn wieder, zumindest ein bisschen: Ihr Sohn Urs rudert für Deutschland.

Es sind die blauen Augen. Man kann sie gar nicht übersehen, weder bei der Mutter noch beim Sohn. Eva Nitschke und Urs Käufer lachen. Sie sind gut gelaunt beim Treffen kurz vor seinem Abflug nach Peking. Allzu oft gibt es diese Momente nicht mehr, denn der 23-Jährige lebt längst sein eigenes Leben mit Freundin Jasmin.

Vor vier Jahren entschied sich Käufer Peking in Angriff zu nehmen. Er wurde Sportsoldat, zog von Ulm ans Ruderzentrum Dortmund. Seither dreht sich alles um den Sport. Keiner kann das besser verstehen als seine Mutter, die 1976 als 19-Jährige im Olympia-Kader von Montreal stand. So ist es kein Zufall, dass sich die beiden am Rande einer Regatta treffen.

Es ist der Landesentscheid der Schulen, der die Lehrerin Eva Nitschke nach Breisach geführt hat. Sie organisiert, ihr Sohn trainiert mit Filip Adamski, Gregor Hauffe und Toni Seifert. Der Vierer, Vizeweltmeister '06. Eva Nitschke, die damals Dick hieß, saß 1976 im Achter, als erstmals Frauen rudern durften. Die Konkurrenz aus dem Ostenwar 1976 übermächtig: "Als wir zum ersten Mal gegen die Russinnen gerudert sind, haben wir gesehen, was Sache ist." Allein was den Körperbau angeht, waren die Damen sichtbar überlegen: "Heute weiß man, dass sie gedopt haben. Damals haben wir es vermutet. Aber ehrlich gesagt, es war uns egal. Wir waren glücklich, dass wir dabeisein durften."

Ihr Ex-Mann Hansjörg Käufer war ebenfalls erfolgreicher Ruderer, da wundert es nicht,, dass die Kinder viel Zeit im Ruderclub verbrachten. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis Urs ins Boot stieg. "Als Kind war er nicht gerade sportbegeistert", meint Eva Nitschke: „Beim Fußball ist er ins Tor gegangen, damit er nicht laufen musste."

Das, so widerspricht Urs, sei überhaupt nicht wahr. Beim SV Göttingen habe er damals im Sturm gespielt und das Laufen sei ihm verboten worden: "Die haben immer gesagt, dass ich vorn warten soll." Die Kick-Karriere endete rasch, noch schneller der Abstecher zum Eishockey. Also doch Rudern. Am Alpsee stieg er erstmals mit dem Vater in den Zweier. "Und in der Pubertät bin ich ein bisschen aufgegangen, drum hab' ich es versucht." Der Erfolg folgte prompt: Nach nur einer Saison gehörte Urs Käufer zur Kategorie der Leichtgewichte.

Mit ihren 61 Kilo Wettkampfgewicht hätte Eva Nitschke heute keine Chance auf einen Platz im Achter. Auch damals war es das Handicap des Bootes, noch zwei Jahre später, als sie als Schlagfrau zur WM fuhr: . "Bei Gegenwind waren wir zu leicht, und in den großen Finals hatten wir immer Gegenwind." Das Gefühl kennt ihr Sohn, denn auch seinem Vierer fehlte es lang an Masse. Kommt der Wind von vorn, wird's schwer. Doch an Gewicht haben die Vier zugelegt, es sei nur noch eine Sache des Kopfes.

"Ich hab' zu ihm gesagt, dass Olympische Spiele was ganz anderes sind als eine WM", sagt Eva Nitschke. Das Zusammentreffen mit Sportlern aus aller Herren Länder ist das, was in Erinnerung bleibt. 1976 waren Männlein und Weiblein erstmals nicht streng getrennt. Neben den Ruderinnen feierten auch die Basketballerinnen Premiere unter den Ringen. "Im Dorf bin ich mal an diese riesige Russin mit Schuhgröße 58 hingelaufen. Das war schon beeindruckend", erinnert sich die 51-Jährige. Die größte Aufregung habe es aber gegeben, als die Queen das Dorf besuchte. Am 1. August ist die Ruder-Crew in Peking gelandet mit großem Gepäck: Von der Socke bis zum Schal sind es 70 Kleidungsstücke. "Wir hatten damals furchtbare Klamotten", erinnert sich Eva Nitschke: "Vor allem für junge Frauen, die lieber mit Jeans rumlaufen. Und bei der Eröffnungsfeier haben die Schuhe gedrückt."

"Aber der Jogginganzug hatte Stil", sagt Urs schmunzelnd. Der blieb länger im heimischen Schrank und durfte von Saarbrücken mit nach Ulm ziehen. "Und der rote Bademantel, der war klasse. Den hat später sogar meine Tochter angehabt, nur den Bundes-Geier, den haben wir abgemacht."

Eva Nitschke fliegt nicht nach Peking. "Aber Urs kommt ja allein zurecht", sagt die Mutter lachend. Am Rockzipfel habe er ohnehin nie gehangen: "Er ist jahrelang allein von Göttingen nach Ulm ins Training gefahren. Das war eine üble Busverbindung. Mir ist es heute noch ein Rätsel, wann er Hausaufgaben gemacht hat." Urs grinst, Mutter muss ja nicht alles wissen.

Der 23-Jährige ist stressresistent, sagt Eva Nitschke: "Das erste Mal, dass ich ihn stöhnen gehört habe, war in diesem Jahr in Luzern." Die unklare Situation mit der Auseinandersetzung gegen die zweite, befreundete Vierer-Crew war an die Nerven gegangen. "Damals hat er gesagt: ,Ich weiß nicht wie lang ich das aushalte'", verrät die Mutter. Die Situation ist gelöst: Die anderen vier sitzen jetzt im Achter.

Käufer hat bereits am Samstag den Vorlauf. Die Eröffnungsfeier lässt sich die Crew aber nicht nehmen - hoffentlich ohne drückende Schuhe.

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