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Bei Wind und Wetter auf der Donau - Gudrun Vetter-Thanner

Es ist Freitagnachmittag, Viertel vor drei: Das Thermometer scheint bei null Grad Celsius einzufrieren, dunkelgraue Wolken beherrschen das Himmelsszenario, und aus dem Osten weht ein leichter, aber eisiger Wind. Noch liegt viel Schnee auf den Wegen. So sieht wohl ein Tag aus, an dem man sich ungern im Freien aufhält. Gudrun Vetter-Thanner sieht das ganz anders. Sie steht in der Bootshalle des Ulmer Ruderclubs und hat sich aufs Rudern vorbereitet. Die zierliche Ulmerin trägt eine enganliegende anthrazitfarbene Ruderhose, darüber eine schwarze Windjacke. Die eleganten Ruderschuhe – ebenfalls in Schwarz – sind eng geschnürt und erinnern ein wenig an hoch geschnittene Mokassins. Gudrun verschränkt die Arme; man hat fast den Eindruck, als wären sie miteinander vertäut. Heute gibt sie sich wortkarg, verspürt nur wenig Lust auf ein Gespräch. Liegt es an der Kälte? Vielleicht, auf jeden Fall wartet sie auf andere Ruderer, mit denen sie einen Doppel-Vierer bilden kann. Doch niemand schaut bis jetzt herein. Ihr Blick geht in Richtung Donau, die träge dahin fließt, und nur einen Steinwurf entfernt liegt.

 

Möglicherweise erinnert sie sich jetzt an jene Zeiten, als sie für die deutsche Ruder-Nationalmannschaft internationale Wettbewerbe bestritt. Vor über vierzig Jahren war das. Ihre größten Erfolge waren zwei sechste Plätze im Doppel-Vierer bei der Europa- und Weltmeisterschaft 1968.

Traum von Olympia
Mit 21 Jahren hatte sie bereits mit dem Rudern begonnnen, zunächst saß die junge Leistungssportlerin im Rennkajak, später im Doppel-Vierer. Sie brachte hervorragende Voraussetzungen für diesen Sport mit, sagt Gudrun, weil sie sich beim Kunstturnen über viele Jahre eine gute Körperbeherrschung angeeignet hatte. Bei den Olympischen Zielen zu starten war ihr großer Traum; er bleibt allerdings unerfüllt, weil das Frauenrudern erst 1976 olympisch werden sollte, bedauert sie. Unser Gespräch unterbricht Sabine, Mitte 20, die die Halle betritt. Sie erzählt, dass sie sich diesen Tag freigenommen habe, um zusammen rudern zu können. Das gefällt Gudrun, über ihr Gesicht fliegt ein kurzes Lächeln.

Nicht ohne Grund: Die 64-Jährige leitet seit Jahren Ruderkurse für Anfänger und Fortgeschrittene. Gerne gibt sie ihr Wissen an andere weiter. Die erfahrene Ruderin betont, dass es sehr wichtig sei, die Technik des Ruderns zu erlernen. Dabei komme es weniger auf den Einsatz von Kraft an, die man zum Rudern brauche, sondern auf gleichmäßiges Rudern. Gerade bei Anfängern – und sie unterrichtet Jung und Alt – geht sie mit Methode vor. Zuerst geht es hinunter zum Floß, damit der Neuling ein Gefühl fürs Wasser und fürs Boot bekommt. Erst danach begibt sich der Anfängeraufs Boot. Dabei wird er von drei erfahrenen Ruderern begleitet, sodass auch schnell „Erfolgserlebnisse“ zu verzeichnen sind, wie Gudrun hervorhebt. Insgesamt zwölf Unterrichtseinheiten stehen damit auf dem Programm, am besten solle der Neuling zwei Mal  pro Woche trainieren, empfi ehlt sie. Vom Anfänger kann er dann aufsteigen zum Fortgeschrittenen und erhält einen F-Schein, mit dem er sich selbstständig auf der Donau bewegen kann.

Trotzdem findet der Fortgeschrittene in Gudrun weiterhin eine Ansprechpartnerin vor Ort und kann so den Kontakt zum Ruderclub pflegen. Fast jeden Tag in der Woche bietet Gudrun ihr Rudertraining an. Die ehemalige Postbeamtin sieht in ihrem Engagement beim Ulmer Ruderclub Donau auch einen gesellschaftlichen Sinn. „Der Sport bringt die Jugendlichen von der Straße“, erklärt sie. Doch wo bleiben die anderen Ruderer? Gudrun bleibt gelassen, auch in der eisigen Kälte, und plötzlich betreten zwei junge Männer die Bootshalle. Es ist drei Uhr, der Doppel-Vierer ist voll. Es folgt ein kurzes „Hallo“, und dann geht alles ganz schnell. Gudrun meldet ihre Bootsnutzung beim Computer an, die Skulls werden ausgesucht und dann tragen alle vier das Boot gemeinsam zur Donau hinunter.

Mit langsamen, bedächtigen Bewegungen drehen sie das rund zehn Meter lange Boot um 180 Grad und setzen es vorsichtig aufs Wasser. Die Vorfreude ist zu spüren. Noch überwiegt jedoch die Konzentration. Denn eines haben sie noch vor sich: die Wende. Gudrun stößt, nachdem die anderen drei ins Boot eingestiegen sind, das Boot mit ihrem Fuß vom Ufer ab. Ungefähr zehn Meter rudert der Doppel-Vierer, und dann, inmitten des Flusses, der auf einmal als mächtiger Strom erscheint, ertönt Gudruns kurzes, scharfes Kommando. Alle vier stellen sofort ihre Skulls quer zur Strömung. Das Boot dreht sich in wenigen Sekunden rasant um die eigene Achse. 

Das Manöver glückt, der Doppel-Vierer befindet sich nun in der gewünschten Fahrtrichtung, auf den Gesichtern macht sich Erleichterung breit. Der Ruderspaß kann beginnen. Wie gesund ist das Rudern? Dabei investiert der Ruderer auch viel in seine Gesundheit. Auf alle Hauptmuskel-gruppen wirkt sich das Rudern positiv aus. Beine, Arme, der Bauch und Rücken werden schonend beansprucht. Zudem fördert das Rudern den Kreislauf. Gudrun weiß um diese gesundheits-förderlichen Aspekte ihres Sports. Die erfahrene Ruderin betont, dass auch die Gelenke nicht belastet werden wie bei vielen anderen Sport-arten. Verletzungen sind wohl selten, nach Untersuchungen von Krankenkassen zählt das Rudernzu den gesündesten und ungefährlichsten Sportarten. 

Allerdings ist das Rudern auf der Donau nicht ohne Risiko. Bei Niedrigwasser muss Gudrun die Kieselbänke umfahren, bei Hochwasser stellen Wasserstrudel an Brückenpfeilern eine Gefahr dar. Im Winter kann bei Wiblingen die Donau zufrieren. Schnell sitzt der Ruderer dann im Eis fest. Gudrun kennt das gut, vor Jahren war ihr das einmal passiert. „Eine Viertel Stunde lang hing ich fest und kaum hatte ich mich aus dem Eis befreit, blies der Ostwind mich wieder hinein“, erzählt sie. Das spielt jetzt aber gar keine Rolle; zusammen mit ihrem Ruderteam fährt sie auf der Donau und genießt ihren Sport – ob bei 30 Grad im Sommer oder bei null Grad im Winter.

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