Inga trauert der vermeintlich verpassten Chance die Steuerfrau für den Frauenachter zu werden nicht hinterher. Im persönlichen Gespräch erzählt sie, was den Unterschied ausmacht. "Als "normale" Steuerfrau endet die Aufgabe mit dem Anlegen und sobald das Boot im Lager liegt. Als Steuerfrau einer Para-Mannschaft ist das nicht so. Abends im Restaurant z.B. muss ich schon mal die ganze Speisekarte vorlesen. Ich bin die Begleiterin des ganzen Teams und meine Teammitglieder müssen sich auch außerhalb zu 100% auf meine Unterstützung verlassen können." Sie erzählt weiter: "So entstehen aber ganz andere Beziehungen zwischen den Team-Mitgliedern und jetzt nach ein paar gemeinsamen Jahren Erfahrung, weiß z.B. auch, was abends im Restaurant gerne gegessen wird, so dass ich die Bestellung der anderen auch ohne Vorlesen aufgeben kann, weil ich die Vorlieben für besondere Speisen bereits gut kenne."
Ein großer Unterschied zum "normalen Rudern" ist auch, dass alle Athleten ganz normale Vollzeitjobs haben. So arbeitet Inga seit Ende des Studiums als Bau-und Projektmanagerin. Auch die anderen Teammitglieder arbeiten Vollzeit; Kathrin Marchand als Ärztin im Krankenhaus, und Susanne Lackner als Professorin an der Uni. Zeit zum Training bleibt nur morgens vor und abends nach der Arbeit. Für gemeinsame Trainingslager nimmt Inga über das Jahr verteilt den ganzen Urlaub. Inga sieht das aber nicht als Nachteil, sondern sagt: "Ich sitze im schlausten Vierer der Welt und wir haben außerhalb des Trainings gute Gespräche, die sich nicht um das Rudern drehen und ich habe viel von meinem Team in allen möglichen Bereichen gelernt". Die gemeinsame Trainingszeit ist deshalb sehr besonders und wird immer sehr effektiv genutzt.
2022 war schon ein besonderes Jahr, auch weil kurz vor der EM eine Ruderin plötzlich ausfiel und ersetzt werden musste. Im Para-Bereich ist das aber nicht so einfach, weil es nicht so viele Athleten gibt und weil sie auch immer in der Zertifizierung noch zu den anderen Team-Mitgliedern passen muss. Das jetzt im Detail zu erklären, sprengt hier den Rahmen. Kurz gesagt, es können nicht zwei mit der gleichen Behinderung im Boot sitzen, oder zwei Blinde dürfen z.B. nicht den gleichen Blindheitsgrad haben. Deswegen ist es immer schwierig kurzfristig Ersatz zu finden. Das Team dieses Jahr hatte Glück, dass mit Kathrin Marchand eine erfahrene Ruderin rechtzeitig zur EM zertifiziert werden konnte. Für uns Ulmer ist sie keine Unbekannte, war sie doch auch schon in Rio dabei, und zwar im Zweier-Ohne mit Kerstin Hartmann. Ein Schlaganfall vor zwei Jahren lähmte eine Seite und sie hat seitdem auch mit einer Sehbehinderung zu kämpfen. Die Lust am Rudern und Leistungssport hat sie aber nicht verloren, so dass sich über das Para-Rudern interessierte. Was ein Glück für Inga und die restliche Mannschaft. Inga sagt: "Ihre ganze Erfahrung aus ihrer langen Ruderkarriere hat sie mit in unsere Mannschaft gebracht und so unser Team als Schlagfrau ein großes Stückchen schneller gemacht."
Ob Inga 2024 in Paris nochmal an den Start geht, weiß sie jetzt noch nicht, sie will so lange weitermachen, wie es ihr Spaß macht und solange sie für das Para-Team eine Stütze sein kann. Wir drücken der sympathischen Sportlerin die Daumen für die nächste Saison und freuen uns, wenn sie uns mal wieder in Ulm besucht.
INFO Bericht rudern.de