Yellow Submarine
Fotograf dieser "Übung" ist der unten in der Geschichte erwähnte Passant: Albert Reinauer
So klein fängt die Geschichte an. Ulm, das gefühlte Zentrum der rudernden Chirurgen in Deutschland - aber auch die fangen mal klein an: im Gigvierer mit Steuermann, dazu noch etwas erhöhte Strömung, erste Fahrstunde für die Steuerfrau, das Boot kommt nicht richtig vom Floß weg, treibt kurz nach unten, ein Backbordriemen verhakt sich zwischen den beiden oberen Flößen, die Strömung tut das Ihrige dazu und – ein kurzes knirschendes Geräusch – der schöne Kohlefaserriemen bricht in zwei Teile.
Der Riemen gehört zu einem Vierersatz, der dem ehemaligen Empacher-Rennvierer ohne aus dem Bestand des Landesruderverbandes Baden-Württemberg – der dort den etwas lieblosen Namen "403" hatte und in Ulm deutlich lebensnaher "Midlife Crisis" heißt, zugeordnet ist. Wer als Ulmer Ruderer schulterzuckend denkt, das war's dann wohl mit diesem Riemen, hat nicht mit der Beharrlichkeit des Bootsschreiners und Trainers gerechnet, der vor fast keiner Situation kapituliert. Aus Zeiten, als man oft aus wenig viel machen musste, stammte das Rezept: Wiedervereinigung der beiden Teilriemen mit einer Art Manschette und einer gehörigen Portion Wärme. Kommentar des Bootschirurgen mit Berliner Schnauze: "Für euch tut 'et det."
Die Zeit schien dem Meister aus dem Osten Recht zu geben. Es gingen ein bis zwei Jahre ins Land, alle verfügbaren Masters-Backbordruderer versuchten sich mal an diesem Reha-Riemen – ohne Erfolg. Dann kommt Samstag, der 18.6.2011. Es sind wieder mal nur 6 Masters erschienen, die morgens um 9 Uhr gerne Achter fahren würden. Zwei Backbordler, die oft auf Schlag rudern, seilen sich in den Zweier ohne ab. Es verbleiben 3 Ruderer mit Schwerpunkt Steuerbord und einer mit Schwerpunkt Backbord.
Der längste der Steuerbordler hatte schon immer mit der Backbord-Schlagposition geliebäugelt und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Die Fahrt verläuft harmonisch, das Boot steht überraschenderweise ordentlich. Jetzt will er es wissen. Was steckt hinter diesen Startschlägen, die schon so manchen Backbord-Schlagmann scheitern ließen. Mehrere Starts folgen nach der Wende an der Herdbrücke. Zunächst noch etwas holprig, dann läuft es besser. Dann ruhiger Streckenschlag, aber ab und zu mit eingestreuten Schokoladestückchen, einem Dreißiger mit richtigem Druck. Dann ein kaum hörbares Geräusch, unser Steuerbordler auf Backbord-Schlag hört ohne Vorankündigung urplötzlich auf zu rudern.
Was der Herr der Plaste zusammengefügt hatte, hatte unser Neu-Schlagmann getrennt. Sofort war klar: beide Riementeile einholen und weiterrudern im Riemendreier. Krise in der "Midlife Crisis"? Nicht wirklich. Eher zwei Steuerbordler gegen einen Backbordler. Ausgerechnet unser langer Jungschlagmann ist zur Untätigkeit verdammt. Beim Hochrudern dann mit einem kurzen Halt fast schon in Höhe der SSV-Bucht denkt der verbliebene Backbordler: "Dann geb ich ihm halt, was er nicht hat", und lehnt sich in gewohnter Weise zu seiner Dolle hinaus. Kaum ist diese offen, gibt es kein Halten mehr.
Ohne jegliches Stützrad auf Backbord und mit einem Backbordruderer fast im dreistelligen Bereich in der seitlichen Auslage, macht die "Midlife Crisis" auf offener Strecke eine Eskimorolle und liegt kieloben mit den in den Dollen verbliebenen Steuerbordriemen mitten in der Donau. Die eingebauten Schuhe lassen die Ruderer die Eskimorolle mitmachen und die sehen den Vierer plötzlich über sich, die Füße lösen sich aus den leicht überdimensionierten Schuhen, man sieht, da oben ist es hell, dort sollte man hin.
Als alle auftauchen, beginnt das große Gelächter, weil die Ursache sofort allen klar wird. Der große gelbe Bootskörper streckt seinen Bauch nach oben und die Ruderer schwimmen, das Boot im Wasser schiebend, zum Ufer, weiter aus vollem Halse lachend. Besorgte Passanten am Uferweg fragen, ob sie Hilfe holen sollten. Die Ruderer lachen weiter und sagen, dass es sich nur um eine Übung handele. Ein weiterer Passant frägt, ob er ein Foto machen dürfe. Ja, aber nur, wenn er es an den URCD weiterleiten würde. Das Wasser ist nicht so kalt, wie man es sich im Nachhinein vorstelllt. Ein Jungenzweier rudert flussabwärts vorbei, sich wundernd, was die Alten da wieder machen.
Im unter Wasser schräg abfallenden Uferbereich kommen die 4 zum Stehen, nehmen den Vierer über Kopf und setzen ihn gleich wieder aufs Wasser. Der großzügige Riemenspender bekommt die Riemenhälften und darf zum Club hochjoggen. Der Riemendreier rudert ohne weitere Zwischenfälle zum Club hoch, sicher den einen oder anderen verwunderten Blick vom Ufer auf sich ziehend.
Alle vier kommen gleichzeitig am Club an und zufällig läuft der Herr der Plaste über den Bootsplatz, um gleich Riemen und Geschichte überreicht zu bekommen. Allen Beteiligten ist sofort klar, trocken geht die Sache nicht ab. Mit Unterstützung der Backbord-Schlagleute vom Zweier ohne werden die Reparatur und das Manöver von allen Seiten beleuchtet. Im Winter wäre die Sache sicher nicht so lustig ausgegangen, aber im Sommer bescherte sie den Ruderern ein Ereignis, an das sie sich sicher noch im hohen Alter erinnern werden.
Und der gelbe Vierer ohne, "Midlife Crisis", hat jetzt einen Zusatznamen: "Yellow Submarine".
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