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Ulm – wir haben ein Problem!

Die Donau. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2013. Dies sind die Abenteuer des Atlantikruderbootes Fight & Spirit, das mit seiner 2 Mann starken Besatzung, Mark Hughes und Jonathan Cowie, fünf Wochen unterwegs ist, um neue Länder zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Viele Kilometer von Ulm entfernt, dringt die Fight & Spirit in Gewässer vor, die nie ein 600 kg schweres Atlantikruderboot zuvor gesehen hat.

Die Schachtel der Donaufreunde war allerdings bereits in diese Gewässer vorgedrungen und so gab es einen detaillierten Streckenplan mit allen Hindernissen, Widrigkeiten, Telefonnummern, Stationen für Ein- und Ausreise etc. inklusive Kilometerangaben.

Am Höhepunkt des Maihochwassers kommen sie am 2.6.2013 in Ulm an. Abends ist die Farewell-Party angesetzt. Es soll am nächsten Tag gleich nachmittags in Richtung Schwarzes Meer losgehen. Aber aus der Farewell-Party wird eine Welcome-Party. Ständige Nachfragen bei den Schleusenbetreibern vom Kraftwerk Böfinger Halde in Ulm bis zum Beginn der Donau als Bundeswasserstraße in Kelheim bringen immer das gleiche Ergebnis: alle Schleusen sind abgeschaltet, wenn Wasser über das Wehr geht. Und das tut es auch noch eine Woche später.

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Asyl
In der Zwischenzeit finden die beiden Asyl bei Leibingers auf der Insel, reihum werden sie von verschiedenen URCD-Mitgliedern mit dem Ulmer Ruderleben vertraut gemacht. Das Ulmer Ruderrevier wird getestet, ebenso schwäbisches und italienisches Essen und auch Getränke aus sehr großen Gläsern. Bei einer Ruderfahrt im Achter zum Wehr am Fischerheim wird klargestellt, das ist der Punkt, der dem Schwarzwald am nächsten ist, denn schließlich ist das Motto: From Black Forest to Black Sea.

Eine Woche nach der Ankunft in Ulm, nachdem sich die Hochwasserlage in Ulm schon normalisiert hat, beginnen die Pegel an der Iller wieder zu steigen. Jetzt muss etwas Entscheidendes getan werden: das Boot samt Besatzung soll nach Passau verfrachtet werden, weil dort die Öffnung der Großschifffahrtsschleuse Jochenstein bevorsteht. In Österreich werden an diesem Tag fast alle Schleusen wieder für die Schifffahrt freigegeben.

Also gibt es am Abend davor doch noch eine echte Abschiedsparty. Es ist klar, die neugewonnenen Freunde werden Ulm am nächsten Morgen verlassen. Die Stimmung ist fast ein bisschen traurig, aber ein Aufbruch ist auch ein neuer Anfang.

Abschied von Ulm
Wo vorher noch das Boot bei Hochwasser irgendwo in der Innenstadt von Passau hätte zu Wasser gelassen werden können, wird jetzt übers Internet eine geeignete Slipanlage gesucht. Mark und Jonathan finden sie nahe einer Brücke über die Ilz, die kurz darauf in der Dreiflüssestadt Passau in die Donau mündet. Am Dienstag, den 11.6.2013 morgens um 8 Uhr verlässt das Gespann mit Hans-Jörg Stöhr als Transportchef, seinen Beifahrern Mark und Jonathan, die auf der Fahrt meist im Schlafmodus waren, mit dem inzwischen in "Ungetüm" umgetauften Boot Ulm.

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Fotogalerie Passau von Hans-Jörg Stöhr

Um die Mittagszeit in Passau wird am Ziel abgeladen, das Boot auf Wasser reisefertig gemacht und die Flagge im Heck eingesetzt. Jetzt geht es wirklich los. Start bei Donau-km 2.225,40. Ein kurzer Abschied und die beiden stechen in See. Es zeigt sich, dass das Steuern gar nicht so einfach ist, wenn man sein Steuer am Heck nicht sehen kann. Leider konnten die Ulmer das Boot in Ulm wegen des Hochwassers nicht Proberudern, hatten sie doch schon Erfahrung gemacht mit den Atlantikruderbooten in Getxo im Baskenland, den Traineras (in Küstennähe).

Es geht endlich los
Auf zur letzten deutschen Donauschleuse in Jochenstein. Die Strömung tut ihr übriges und schnell ist das Ziel da. Leider ist die Schleuse Jochenstein (km 2.203) noch gesperrt. Erster Tag: 47,1 km. Später kommt die SMS in Ulm an: "We managed to get away in Passau and got to the next lock (Jochenstein) very quickly! They are not yet open. They say they may open tomorrow. It would be great if you got a chance to ring too, to "encourage" them! In the meantime, it's been great to get going!" Die Bodenstation ist wieder gefragt.

Da der Schleusenmeister in Jochenstein seine Anweisungen vom Wasser- und Schifffahrtsamt Regensburg bekommt, heißt es am nächsten Morgen, Anruf dort zum "Überreden", die Schleuse Jochenstein bitte zu öffnen. Doch es kommt nur eine kurze Antwort aus Regensburg: "Die Schleuse ist bereits offen!" Schnell ein Blick auf den GPS-Tracker auf der Webseite des Projekts Row the Danube, der zeigt, die beiden sind schon ganz früh losgerudert.

Nach der Schleuse Jochenstein kommt die Schlögener Schlinge, dabei die Schleusen Aschach, Ottensheim, Abwinden und Wallsee. Nach Grein, der Wörther Insel und Sankt Nikola ist bei Freyenstein das Ende der ersten richtigen Tagesetappe. Bilanz: circa 133 km, 5 Schleusen und vermutlich die ersten Tapes um die Finger - die ersten Blasen kamen ja schon beim Lieseltrinken in Ulm. Wien könnte am nächsten Tag schon in Reichweite liegen. Könnte, wäre da nicht bei km 1.980 die Schleuse Altenwörth. Auch die Bodenstation für die Donaumission des Atlantikruderboots in Ulm verfolgt per GPS auf der Homepage  die Fortschritte.

Hin und her in Altenwörth
Am Donnerstag, den 13.6. kommt um 15:09 Uhr der Anruf des Schleusenwärters aus Altenwörth, dass das englische Boot nicht geschleust werden kann, da eine Schleusenwand durch das Hochwasser stark unterspült und einsturzgefährdet sei. Mindestens eine Woche dauere es, bis das behoben sei. Die schlechte Nachricht ergeht sofort telefonisch ans mobil erreichbare Boot. Nach zehn Minuten meldet sich der Schleusenmeister: Das Boot kann jetzt doch bei einer Testschleusung mit, bei der die Stabilität der einsturzgefährdeten Schleusenmauer getestet wird. Auch die gute Nachricht geht sofort ans Boot. Kurze Zeit darauf: Das Boot darf auf keinen Fall mitgeschleust werden. Die Ruderer sollen das Boot mit einem Bootswagen an Land um die Schleuse herum manövrieren. Der Bootswagen ist vor Ort nirgendwo zu sehen. Außerdem könnten die Jungs ihn auf der abschüssigen Strecke mit dem 600-kg-Boot sowieso nicht festgehalten.


Schleuse Altenwörth Anfang Juni 2013

Anfrage an die Schleuse, ob mit der Schleusung nicht doch noch was geht mit der Bitte um die Telefonnummer eines Chefs. Es meldet sich eine Behörde in Wien automatisch, dass die Bürozeit um 15:30 Uhr endet. Schleuse, bitte noch eine Telefonnummer. Beim Ministerium in Wien ist noch jemand da, aber laut eigener Auskunft zu weit weg von der Sache. Nach eindringlicher Bitte rückt der Schleusenmeister jetzt die Nummer des Betriebsleiters heraus. Der wiederholt das Verbot und fügt hinzu, am Abend oder am nächsten Morgen käme ein Schotterschiff, das auf jeden Fall geschleust werden würde, weil mit dessen Schotter die lädierte Schleusenmauer unterfüttert werden würde. Er würde keine Verantwortung übernehmen und wisse auch von nichts, was eventuell folgen könne.

Das Schotterschiff
Wenn der Schiffsführer des Schotterschiffes die Verantwortung übernimmt, könne das Boot am Schiff befestigt werden. Die Ruderer müssten auf das Schotterschiff umsteigen und sich im Innern aufhalten und dann könne geschleust werden. Große Erleichterung bei der Bodenstation. Der Schleusenmeister bespricht diese Details mit dem Schotterschiff. Beim Anruf im Boot wird diese Abfolge kurz erzählt und danach auch nochmal schriftlich per Mail geschildert mit der Bitte, jederzeit bereit zu sein, egal wann das Schotterschiff käme. Das Boot müsse zurückrudern und deutlich oberhalb der Schleuse warten. Dort würde das Schotterschiff am Ufer festmachen und alles Übrige würde dann folgen. Auf der GPS-Karte der Homepage ist dieses Manöver noch heute gut nachzuverfolgen. Am nächsten Morgen klappt dieses Manöver tatsächlich. Die Schleuse Altenwörth wird offiziell 14 Tage später am 27.6.2013 wieder geöffnet.

Jetzt gilt es, versäumtes aufzuholen und ohne anzuhalten geht es ohne Pause durch Wien Richtung Bratislava. Weiter, immer weiter. Übers Wochenende übernimmt Claudia Barth die Bodenstation. Bei der einzigen Schleuse in der Slowakei, in Gabčikovo, muss sie mit dem Schleusenwärter direkt sprechen, der zwar im Prinzip kein Deutsch kann, aber erst recht kein Englisch. Dazu wird das englische Handy einfach an die Sprechanlage der Schleuse gehalten. Die Verbindung ist extrem schlecht, doch nach zwei Stunden Wartezeit klappt's auch mit Gabčikovo. An der Donau kommt eine Hauptstadt nach der anderen, nach Wien und Bratislava jetzt Budapest. Dahinter werden die Ruderer von der Wasserpolizei gestoppt. Bei Hochwasser dürfen nur wichtige Schiffe fahren.

Die Bodenstation ruft den Ulmer CDU-Stadtrat Siegfried Keppler an, der im April von Staatssekretär János Lázár einen ungarischen Verdienstorden bekommen hat. Herr Keppler hat Informationen, dass die Hochwasserlage in Ungarn sehr ernst sei. Er habe aber auch die Kontaktdaten des Assistenten des Staatsekretärs, der sehr gut Deutsch spreche. Am Nachmittag ist das Boot aber wieder unterwegs, der Kontakt ins Ministerium in Budapest kann also warten. Bei Mohacs: wieder Pause wegen des Hochwassers. Nach ein paar Stunden kommt die Einreise nach Serbien mit der sehr eindringlichen Bitte, auf gar keinen Fall in Kroatien anzulegen. Eine Nachtrudereinheit folgt.

Belgrad statt Vukovar
Beim Ruderclub in Vukovar wartet Mirko Benaković morgens in aller Herrgottsfrühe auf die Ankunft des Bootes. Da Mark und Jonathan offiziell nicht einreisen dürfen und außerdem nach der Wartezeit dringend Kilometer machen sollten, müssen sie leider an Vukovar vorbeirudern – Mirko sieht sie nur von Ferne. Danach erreichen sie Belgrad und rudern ein kleines Stück die Save hoch zum Ruderclub Roter Stern Belgrad, wo es neben gutem Essen auch die erste Dusche nach 12 Tagen gab. Dort wartet Pedja, der das Boot nach diesem Abenteuer übernehmen wird und damit von Istanbul nach Athen rudern möchte. Er hatte übers Internet den Kontakt gefunden. Der Erlös vom Verkauf des Bootes geht auch an die beiden karitativen Projekte, die die beiden unterstützen. Am Eisernen Tor warten die beiden letzten Schleusen. Danach halten sie weder Hochwasser noch die "Freunde" von der Wasserpolizei auf.

Bis Constanța
Istanbul als Ziel der Fahrt müssen Mark und Jonathan wegen der Verspätungen in Ulm vergessen, dafür rudern sie nicht über den Donau-Schwarzmeer-Kanal von Cernavodă nach Constanța als Abkürzung, sondern regulär übers Donaudelta und dort über den südlichen St. Georgsarm der Mündungsdonau und erreichen am 3. Juli 2013 das Schwarze Meer. Am Samstag, den 6. Juli erreichen sie das rumänische Constanța, wo das Boot an seinen serbischen Käufer übergeben wird. Der Sonntag bleibt für den Rückflug. Und was ist am Montag? Arbeitsbeginn. Für den Schotten Jonathan in London und für den Engländer Mark in Edinburgh.


Foto: Alexandru Visan


Kaum Blasen oder Schwielen an den Händen nach so vielen Kilometern - das Geheimnis: die Blätter wurden beim Rudern nicht abgedreht.

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