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Wanderrudern pur

auf der Charente

im Juli 2024

Bootsreise auf einem malerischen Fluss bis in den wilden Atlantik (20.-28. Juli 2024)      (Fotos: Charente-Team 2024)

GESCHRIEBEN VON OLAF BEHREND, TORSTEN BEY UND FRANK SCHERBER

Idee und Vorbereitung
Nach der spektakulären Wanderfahrt in England im Jahr 2023 kam auch im Frühjahr 2024 schnell der Wunsch auf, im kleinen Kreis eine weitere, vielleicht nicht alltägliche Wanderfahrt für den Sommer anzustreben. Die Ideen wurden gesammelt und schließlich verdichtete sich alles auf eine Befahrung der Charente, einem mittelgroßen Fluss im Westen Frankreichs. Für die Charente spricht unter anderem die Tatsache, dass diese, im Gegensatz zu inzwischen vielen anderen französischen Gewässern, ganz frei – das heißt ohne das oft obligatorische Einholen einer behördlichen Erlaubnis mit fester Vorplanung der Etappen – befahren werden kann. Recht schnell war klar, dass sich der Teilnehmerkreis auf nur drei Personen beschränkt. Dies war dann, neben der Tatsache, dass die Charente mit der Mündung in den Atlantik die Aussicht auf etwas Küstenrudern bietet, der Anlass, auch in diesem Jahr wieder mit der Nyholm, dem dänischen Inrigger Zweier mit Steuermann, zu planen.

Das Boot bietet auch den Vorteil, dass ausreichend Stauraum vorhanden ist, der Wanderrudern pur, also die Mitnahme allen Gepäcks inklusive Zelt im Boot erlaubt. Das hatte den großen Vorteil, dass wir die Etappeneinteilung vollkommen offen halten konnten, um erst vor Ort und unterwegs jeweils von Tag zu Tag zu entscheiden, wie weit wir abhängig von Wetter, Strömung, Frequentierung der vielen Schleusen aber auch unserer Tagesform, fahren wollen und können. Damit legten wir lediglich den Startpunkt der Tour in Angoulême, am Beginn des durch handbetriebene Bootsschleusen schiffbaren Abschnittes der Charente, sowie eine ungefähre Zeit für das Treffen, fest.

Die Crew der Nyholm bereit zum Ablegen beim Ruderclub in Angoulême.

Samstag / Sonntag, 20./21. Juli: Die lange Anreise
Die lange Anreise nach Angoulême von deutlich mehr als 1.000 km ab Ulm traten wir getrennt an. Denn während Torsten und Frank sich am Samstagmorgen, mitsamt der Nyholm auf dem Hänger, auf den Weg machten, wählte Olaf den weniger direkten Weg über den nordwestlichen Zipfel Irlands, was bei einem Teil des daheimgebliebenen Wanderfahrten-Follower kurz für ein wenig Verwirrung sorgte. Schließlich kamen aber die beiden Hängerfahrer nach einem anstrengenden Ritt bei Hitze und mit viel Stau in der Schweiz noch kurz nach Mitternacht in Angoulême an und konnten unkompliziert die Vorzüge der mobilen Unterkunft in Franks Bussle nutzen. Olaf traf nach einem Flug Dublin – Bordeaux, kurzer Nacht im Hotel und Weiterfahrt am frühen Morgen mit dem TGV gegen 9 h in Angoulême ein. Der erste Weg nach dem Treffen des Teams am Bahnhof führte in ein nettes kleines Bistrot, um bei ausreichend Café au lait, Chocolat chaud sowie Croissants und Baguette gestärkt gemeinsam in den Tag zu starten.

Wir fuhren anschließend zum nahegelegenen lokalen Ruderclub (Aviron Club Angoulême), um das Boot mitsamt allem Gepäck startklar zu machen und den Hänger und Zugfahrzeug sicher für die nächsten Tage abzustellen. Während wir im überraschend einsetzenden strömenden Regen voller Tatendrang auf das für mittags angekündigte gute Wetter und den Start der Tour warteten, schaute einer der örtlichen Ruderfreunde vorbei und reichte uns Ausdrucke einer ausführlichen Fahrtbeschreibung in den rundum beschlagenen und feuchten VW-Bus und gab uns noch einige nette Tipps für die Fahrt. Bei genauer Prüfung stellte sich jedoch heraus, dass das Wanderfahrtenrevier der lokalen Ruderer offenbar nur die ersten 60 km bis Cognac umfasst, wir aber natürlich im Kopf hatten, im besten Fall den Atlantik zu erreichen…

Handarbeit und schwere Mechanik an den insgesamt 20 Schleusen

Sonntag, 21. Juli: 1. Etappe Angoulême – L’Angle Sireuil (18 km / 5 Schleusen)
Der Regen hörte wie erwartet gegen Mittag auf und, nachdem wir tatsächlich den recht ansehnlichen Gepäckberg in den beiden Luken in Bug und Heck verstaut hatten, starten wir unsere Tour auf dem wunderschön grün schimmernden Wasser der Charente. Die erste Teiletappe endete bereits nach nur 600 m an der ersten Bootsschleuse. Diese, wie alle weiteren 19 Schleusen, die wir in den folgenden drei Tagen noch zu durchfahren hatten, sind ausschließlich mechanisch per Handkurbeln und -rädern zu bedienen. Glücklicherweise waren alle Schleusen, die vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammen, in technisch sehr gutem Zustand und geöffnet, so dass uns ein Umtragen erspart blieb.

Schnell entwickelte sich das Bedienen der Schleusen zum kleinen körperlichen Ausgleich für die jeweiligen Steuerleute. Nach der Passage der ersten Schleuse ruderten wir bei inzwischen bestem Sommerwetter weiter auf dem leicht strömenden Fluss, der auch mit der etwas trägen Nyholm eine angenehme Reisegeschwindigkeit erlaubte. Die letzten Vororte der Stadt waren schnell verlassen und von nun an hatten wir das Gefühl, dass der wunderschön in die Wald- und Wiesenlandschaft eingebettete Fluss fast ausschließlich uns gehört.

Auf dem Weg zur Schleuse im Kanadier-Stil

An der nächsten Schleuse, gerade mal 3,5 Fluss-km nach der ersten, sahen wir im Unterwasser ein kleines Ausflugsschiff heranfahren. Wir warteten kurz mit dem Befüllen der Kammer und übernahmen die Funktion des Schleusenwärters für das Schiffchen – woraufhin wir von der Schiffsgesellschaft bzw. der freundlichen Bordcrew mit drei Probiererle-Bechern Rotwein belohnt wurden, die wir als offiziellen Willkommenstrunk genossen, bevor wir unseren Weg durch die Schleuse fortsetzten.

Les maîtres d’ecluse no. 2

Nach einigen weiteren Kilometern auf dem Fluss begannen wir zu prüfen, wo es für das Ende dieser ersten Halbetappe geeignete Unterkunftsmöglichkeiten geben würde. Zwar ist in Frankreich das wilde Zelten grundsätzlich häufig erlaubt und gerade in der Umgebung der Schleusenanlagen boten sich oft recht hübsche Plätzchen – zum Teil mit einfacher Gastronomie in einem der alten Schleusenwärterhäuser. Dennoch waren wir uns einig, dass wir die Infrastruktur eines offiziellen Campingplatzes im Zweifel durchaus bevorzugen würden. So landeten wir nach 18 Ruder-km (und den ersten fünf Schleusen der Tour) schließlich nahe dem kleinen Örtchen L‘Angle Sireuil an und schlugen unser Zelt auf dem wenige 100 m vom Fluss entfernten Campingplatz auf. Nach ein paar Kaltgetränken, einer erfrischenden Dusche, einer auf dem Gaskocher bereiteten Nudelmahlzeit und einem Absacker im Bistrot am Fluss, verbrachten wir eine ruhige Nacht im Zelt, in der wir uns von der anstrengenden Anreise (und weniger von der nicht allzu zu fordernden ersten Ruderetappe) erholen konnten.

Start auf die zweite Etappe mit leichtem Reisegepäck

Montag, 22. Juli: 2. Etappe - L’Angle Sireuil – Saint Simon – Cognac (41 km / 12 Schleusen)
Nach einem gemütlichen Frühstück am Zelt stellten wir uns frisch gestärkt der Herkulesaufgabe, unser gesamtes Gepäck wieder zum Liegeplatz des Bootes am Fluss zu schaffen. Dank Franks Initiative konnten wir dies jedoch mithilfe eines einfachen Handkarrens recht angenehm gestalten und so ohne große Vorbelastung auf die erste Ganztagesetappe starten. Der Fluss führte uns weiter durch eine überraschend einsame Landschaft mit wenig sichtbarer Besiedlung und viel Grün am Ufer. Häufig zweigten kleinere Arme der Charente ab, leider meist nicht fahrbar für uns Ruderer, um ein paar Kilometer weiter den zwischendurch schmalen Fluss wieder etwas zu verbreitern. Und immer war das Wasser wunderbar klar und das Rudern ein echter Genuss.

Die Fahrt wurde alle 2 - 4 km mit kleinen Zwangsruderpausen unterbrochen, wenn wieder eine der zwölf Schleusen, die an diesem Tag zu passieren und vorab mittels Handkurbel schweißtreibend zu bedienen waren. Glücklicherweise waren die vielen Schleusen in unserer Zeitplanung kein relevanter Faktor, denn wir begegneten an diesem Tag, wie auch allen folgenden, praktisch niemandem auf dem Wasser. Insbesondere die auf der Charente zu mietenden touristischen Hausboote waren, entgegen allen Befürchtungen, extrem rar und wir hatten an keiner der Schleusen eine dadurch bedingte Wartezeit.

Im Zweier ohne in die Schleuse

Das Wetter war an diesem Tag, wie auch für den gesamten Rest der Tour auf unserer Seite und Wolken oder gar Regen spielten keine Rolle mehr. Eine der Herausforderungen bei einer Fahrt durch einsame Landschaft und ohne detaillierte Vorplanung ist, eine zeitgerechte Nahrungsaufnahme sicherzustellen. Dank Google und der Tatsache, dass das kulinarische Angebot in Frankreich auch in ländlicheren Regionen überraschend dicht ist, fanden wir spontan im kleinen, verschlafen wirkenden Örtchen Saint Simon, mit bester Anlegestelle direkt am Fluss gelegen, ein schönes Mittagslokal mit hervorragendem Essen.

Nach einer ausgedehnten Mittagspause fuhren wir weiter, vorbei an Jarnac und Bourg-Charente in Richtung Cognac. Diese wohl bekannteste Stand an der Charente wählten wir dann als unser zweites Etappenziel, das wir am Abend nach immerhin 41 geruderten Kilometern erreichten. Glücklicherweise konnte das Kochen ausfallen und wir (zumindest 2/3 der Mannschaft) freuten uns, uns im netten Lokal am Campingplatz mit Moules frites und lokalem Rosé verwöhnen zu lassen. Nach dem Abendessen wurden, gesättigt und bettschwer, schließlich auch schnell alle Pläne verworfen, noch die 2 km Fußweg für eine Besichtigung der Stadt in Angriff zu nehmen.

Mittagsrast im schönen Örtchen Saint Simon

Dienstag, 23. Juli: 3. Etappe - Cognac – Chaniers (26 km / 3 Schleusen)
Diese Stadtbesichtigung, inklusive Frühstück, holten wir am Morgen nach dem Abbau des Zeltes und einem knappen Ruderkilometer, zu Beginn der dritten Etappe nach. Wir fanden zwar eine bequeme Anlegemöglichkeit am Floß des sehr zentral in der Stadt gelegenen Ruderclubs, der jedoch so ausgestorben war, dass das Verlassen des Geländes nur mittels Überklettern eines Zaunes möglich war. Das Bild dieser weltweit bekannten Stadt wird natürlich geprägt von den großen, bekannten Destillerien, deren eindrucksvolle Fassaden insbesondere in Flussnähe zu finden sind. Gleichzeitig war es überraschend, wie klein und übersichtlich Cognac bei aller Bekanntheit doch ist, und so verließen wir auch an diesem dritten Rudertag nach nur wenigen Kilometern auf dem Wasser die städtisch bebauten Bereiche vollkommen und waren wieder alleine auf unserem Fluss. Die kurze Begegnung mit einem von deutschen Touristen (mehr schlecht als recht) gesteuerten Hausboot an der Stadtschleuse von Cognac ließ uns nochmals dankbar zurück, dass uns diese Art von Begegnungen im Wesentlichen erspart blieben…

Der Flussverlauf an diesem Tag führte uns durch etwas offenere Landschaft, aber weiterhin praktisch ohne Bebauung an den Ufern. Auch die Unterbrechungen durch Schleusen waren jetzt wesentlich seltener, mit einem frei fließenden Abschnitt von fast 20 km nach der zweiten Schleuse des Tages. Das Wetter war inzwischen wirklich hochsommerlich heiß, und so war es umso schöner, dass wir, zeitlich passend zu einer frühen Mittagsrast, ein außergewöhnlich hübsches Plätzchen am Flussufer fanden. An einem kleinen Hafen bzw. Bootsanlegeplatz mit strandbar-artigem Lokal verbrachten wir so spontan eine ausgedehnte Pause im Schatten einiger Bäume und mit den Füßen im kühlen Flusswasser sitzend. Hierbei entdeckten wir eine große Anzahl von Flusskrebsen im Wasser um uns herum, was wir als Zeichen sehr guter Wasserqualität werteten – uns aber später noch in einem anderen Licht erscheinen sollte…

Mittagspause mit kühlendem Fußbad

Anschließend fuhren wir weiter durch die immer noch heiße Nachmittagssonne, unterbrochen von einer kurzen Badepause, zur letzten Schleuse des Tages und dem kurz dahinter liegenden Etappenziel am schönen Campingplatz von Chaniers. Hier fanden wir viel Schatten für unser Zelt unter großen Bäumen und einen nahegelegenen Ort mit der Gelegenheit zum Einkauf für das selbst zubereitete Abendessen. Bis zum Sonnenuntergang nutzen wir die Gelegenheit den hübschen kleinen Ort und insbesondere die eindrucksvolle, burgartige romanische Ortkirche aus dem 12. Jahrhundert samt zugehörigem Friedhof zu besichtigen.

Nach der Rückkehr zum Zeltplatz lernten wir in der Campingplatzgaststätte die, neben Cognac, vielleicht wichtigste lokale Spezialität kennen – den Pineau des Charentes, eine Mischung aus Cognac und (süßem) Traubensaft, also praktisch eine Weinbrandschorle… Der Blick auf den Fluss zeigte uns plötzlich eine aufwärts, also entgegen der eigentlichen Fließrichtung landeinwärts gerichtete Strömung. Das eine Glas Pineau pro Person reichte nicht als Erklärung dieser Erscheinung. In einer Streckenbeschreibung hatten wir zudem von einer geringen Tidenströmung und Tidenhub an dieser Stelle gelesen – 33 km von der letzten Schleuse entfernt und 75 Fluss-km stromaufwärts von der Mündung der Charente in den Atlantik! Dies war ein Phänomen, welches wir erst am folgenden Abend besser verstehen sollten.

Nächtliche Gäste auf dem Campingplatz: Ein Roter Amerikanischer Sumpfkrebs auf Landausflug

Während der Dämmerung und Dunkelheit sollten dann aber auch die Flusskrebse wieder eine Rolle spielen. Diese bevölkerten in zunehmendem Ausmaß den gesamten Platz, so dass man bei jedem Schritt aufpassen musste, wohin man trat – was offensichtlich nicht immer gelingt, weswegen auch die Anzahl der auf dem Platz zu findenden Krebskadaver ansehnlich war. Eine kurze online-Recherche ergab, dass es sich wohl um Rote Amerikanische Sumpfkrebse handelt, eine in Nordamerika heimische, in Europa inzwischen vielerorts verbreitete aggressiv-invasive Art. Diese Erkenntnis dämpfte die ursprüngliche Freude über die Wildtiersichtung doch erheblich…

Frühstück vor der letzten Flussetappe

Mittwoch, 24 Juli: 4. Etappe - Chaniers – Saintes – St. Savinien (33 km / keine Schleusen)
Der nächste Morgen begrüßte uns erneut mit makellos blauem Himmel. Das Frühstück nahmen wir im Lokal direkt am Flussufer sitzend ein und genossen den Blick auf das wunderschön glatt strömende Wasser – in der erwarteten Fließrichtung! Wir warteten eine Pause im Pendelverkehr der örtlichen Kettenfähre ab und brachten unsere Nyholm unter den interessierten und anerkennenden Blicken des netten Campingplatzwirtes zu Wasser. Die Landschaft wurde zunehmend offener. Und obwohl das Meer noch zwei Tagesetappen entfernt war, bekam man langsam das Gefühl von Küstennähe. Als Ziel der Tagesetappe hatten wir die letzte Flussschleuse nach 33 km freifließendem Wasser ins Auge gefasst.

Auf dem Weg durch Saintes mit dem Germanicusbogen

Nach gut 10 km auf dem Fluss erreichten wir Saintes – eine der größeren Städte entlang der Charente. Ein schöner Anlegesteg im Zentrum gab uns die einfache Gelegenheit, auch hier eine kleine Rast mit Stadtbesichtigung einzulegen. Das wohl prägendste Bauwerk der Stadtkulisse ist der römische „Germanicus-Bogen“ (L’Arc de Germanicus) am rechten Flussufer, errichtet im Jahr 18 / 19 n. Chr.! Aber auch eine schöne Innenstadt und ein netter Markt, auf dem wir uns mit Zutaten für ein späteres Picknick eindecken konnten, machten den Zwischenstopp sehr lohnend.

Ab Saintes ändert der Fluss seine Hauptfließrichtung von West nach Nord und führt durch schöne, im wesentlichen ebene Landschaft, und jenseits der Stadtgrenzen von Saintes findet sich wiederum kaum nennenswerte Bebauung am Fluss – lediglich einige kleinere Dörfer. Die Strömung half uns gut beim Vorankommen und so war ausreichend Zeit für ein schönes Wiesenpicknick im Schatten der Uferbäume sowie eine spontane Badepause im hübschen Örtchen Taillebourg. Die verbleibenden 10 Ruder-km forderten bei zum Teil ordentlichen (Gegen-)Wind und zur Schleuse hin stark nachlassender Strömung ein wenig mehr Einsatz an den Riemen, dennoch erreichten wir die Seeschleuse Saint Savinien mit dem nahegelegenen Campingplatz zeitig am späten Nachmittag.

Kühles Picknickplätzchen in der Mittagshitze

Das Boot ließen wir im Schleusenoberwasser frei-schwebend vertäut im Wasser liegen und holten noch beim Schleusenwärter einige Informationen für den nächsten Tag ein. Glücklicherweise wurde der Tidenhöchststand für den kommenden Morgen gegen 8 h erwartet, was bedeutete, dass wir genau passend mit dem ablaufenden Wasser in Richtung der 42 km entfernten Mündung starten wollten. Bei der Besichtigung der Schleusen- und Wehranlage lüftete sich dann auch das Geheimnis der Tidenstömung, die am Vortag selbst weit oberhalb dieser letzten Schleuse noch zu bemerken war. Bei großem Tidenhub, und den hatten wir im Zeitraum unserer Fahrt, steigt der Fluss im Unterwasser der Schleuse über das Niveau des Wehres an, so dass das Wehr verkehrt herum überströmt wird – was flussaufwärts bis weit ins Landesinnere noch spürbar ist. Ein kleines, aber deutliches Zeichen der an der Atlantikküste herrschenden Naturgewalten…

Liegeplatz vor der Seeschleuse von St Savinien

Nach einem inzwischen routinierten Zeltaufbau und Einrichten des Nachlagers machten wir uns auf den Weg über die Schleuseninsel in den Ortskern von Saint Savinien. Etwas erhöht gelegen mit einer weiteren wunderbaren romanischen Kirche im Zentrum, bot sich ein toller abendlicher Blick über den weiteren nordwestlichen Verlauf der Charente in Richtung der Mündung. Lediglich das gastronomische Angebot war hier zunächst enttäuschend – bis wir dem Tipp, das Dorffest auf der Schleuseninsel zu besuchen, folgten. Dort gab es neben kunsthandwerklichen Ständen und Live-Musik ein breites Angebot an Speisen und Getränken, die man an langen Tischreihen unter dem sommerlichen Abendhimmel einnehmen konnte. So kam jeder auf seinen Geschmack – sei es in Form von Moules frites oder Bratwurst! An den Tischen sitzend kamen wir mit ein paar jungen Leuten, die uns als ihre Zeltnachbarn identifiziert hatten, ins Gespräch. Sie waren per Rad unterwegs und interessierten sich sehr für unsere, offenbar als eher exotisch wahrgenommene, Bootstour. Einem davon war die vor der Schleuse vertäute Nyholm aufgefallen und es entstand ein kleiner Austausch über derartige Holzboote. Als sich herausstellte, dass er als Restaurateur alter Luxus-Holzboote tätig war, konnten wir spätestens beim Fachsimpeln über den besten Lack und das richtige Aufbringen der 17 Lackschichten nicht mehr vollständig mithalten … erneut ein wunderbarer Abend mit netten Begegnungen!

Glattes Wasser, aber schon satte Strömung kurz vor Tonnay-Charente – gut 20 km vor der Mündung in den Atlantik

Donnerstag, 25. Juli: 5. Etappe - St Savinien – Fouras – Rochefort (64 km / 1 Schleuse)
Am Morgen lagen wir pünktlich zum Betriebsbeginn der Schleuse gegen 8 h, gefrühstückt und mit bepacktem Boot im Oberwasser bereit für den Start der Fahrt in Richtung Küste. Die Einfahrt wurde gewährt, die Tore hinter uns geschlossen und es passierte – nichts! Nach einigen Minuten des Wartens öffneten sich plötzlich die Untertore, ohne dass wir auch nur einen Zentimeter in der Kammer gefallen wären. Offensichtlich waren der Wasserstand im Ober- und Unterwasser gerade identisch und der Schleusenvorgang dauerte einfach so lange wie die Bediendauer der beiden Tore.

Auf dem folgenden, recht geraden Abschnitt hatten wir anfangs sogar noch eine leichte Gegenströmung; offenbar war die Angabe des höchsten Wasserstandes am Vortag nicht so ganz exakt. Die Strömung stellte aber keine relevante Beeinträchtigung dar und nun spätestens sah die Landschaft mit weiten, ebenen Marschwiesen und wenig Baumbestand wirklich nach Küste aus. Wir erlebten nach nicht einmal einer halben Stunde spürbar den Punkte Strömungsumkehr und von nun an kamen wir zunehmend schneller voran. Nach knapp 20 km erreichten wir Tonnay-Charente, wo wir einen kurzen Einkaufsstopp einlegten. Bereits hier war die Strömung mittlerweile so stark, dass wir entschieden, nur zu zweit in den Ort zu laufen, und einer am Anlagesteg das Boot beaufsichtigte. 

Die Schwebefähre bei Rochefort

Nach dem Ablegen fuhren wir bei weiter starker Strömung auf dem sich immer tiefer in die Landschaft einschneidenden Fluss. Wir passierten das in einer großen Flussschleife gelegene Rochefort. Im Scheitelpunkt der Schleife befindet sich eine seit dem Jahr 1900 in Betrieb befindliche Schwebefähre (Schwebefähre Rochefort), eine an Stahlseilen an einer hohen Stahlkonstruktion hängenden Plattform zum Überqueren des Flusses. Deren Sinn erschloss sich beim Blick auf das über weite Bereiche schlammig trocken gefallene Ufer sofort – der Tidenhub an der noch knapp 10 km entfernten Mündung der Charente beträgt bis zu 6 m!

Am westlichen Ende von Rochefort passierten wir einen der Campingplätze, den wir als mögliches Etappenziel ins Auge gefasst hatten. Die vorgelagerte Marina verfügte inmitten all des Schlamms immerhin über eine zum Anlanden geeignet scheinende Betonrampe. Wir entschieden uns jedoch weiterzufahren, denn nördlich der Mündung der Charente, nur ca. 3 km entlang der Küste gibt es einen weiteren Zeltplatz, den wir nun anpeilen wollten. Auf den letzten Flusskilometern waren die Bedingungen bei weiterhin starker Strömung und deutlichem westlichen Gegenwind sehr rau – wir hatten das Gefühl mit der zum Glück problemlos auf den Wellen tanzenden Nyholm von dem inzwischen schlammig braunen Fluss förmlich aufs Meer gespült zu werden.

Ein letzter Blick auf die Karte kurz vor dem Atlantik

Wir bogen auf Höhe des letzten Ortes in der Charente-Mündung, Port-des-Barques, ab nach Norden, mit guter Sicht auf die kleine, vorgelagerte Île Madame sowie weiter draußen die imposante Küstenlinie der Île d’Oléron. Am Festlandufer bot sich dagegen das immergleiche Bild: ein mehrere hundert Meter breiter Streifen Schlick, der dem Sandstrand, den wir auf Karten als potentielle Campinganlagestelle ausgemacht hatten, unüberwindlich vorgelagert war! Wir fuhren noch einige hundert Meter weiter in Richtung des südlichen Hafens von Fouras – bis eindeutig erkennbar wurde, dass auch dieser vollständig trockengefallen und für uns nicht erreichbar war.

Vor der für uns nicht erreichbaren Küste vor Fouras

So blieb nichts anderes übrig, als den Rückweg in die Charente-Mündung anzutreten. Beim Erreichen der ersten Fahrwassertonnen bei Port-des-Barques wurde deutlich, dass zwischenzeitlich die Tidenumkehr erfolgt war. Dadurch trug uns nun die Kombination von landeinwärts gerichteter Strömung und immer noch kräftigem Westwind relativ schnell flussaufwärts. So fuhren wir die gut 8 km zurück bis zur Marina in Rochefort zurück und landeten an der zuvor gesichteten Betonrampe an. Reichlich erschöpft, in Folge der nun hinter uns liegenden 64 km auf dem Wasser und einer merklichen psychischen Anspannung aufgrund der fordernden Wasserverhältnisse, waren wir froh, die Etappe zu beenden.

Zurück in der breiten Mündung der Charente bei Port-des-Barques nach dem ersten kurzen Abstecher auf den Atlantik

Allerdings wartete nun noch ein unerwartetes Stück Arbeit. Die steile Rampe war im oberen Bereich so dick mit Schlamm bedeckt, dass es nur mit großer Vorsicht möglich war, den Uferweg zu erreichen, geschwiege denn das schwere Boot sturzfrei hinaufzubringen. Man reichte uns freundlicherweise einen Schlauch mit kräftigem Wasserstrahl, der das Freispülen der Rampe erlaubte. Dies musste jedoch schnell passieren, da der Wasserstand zusehends schneller stieg und das Boot in der ufernahen Strömung nur mühsam zu fixieren war. Mit etwas Hilfe gelang diese letzte Anstrengung, und das Boot lagerten wir danach sicher auf dem Gelände der Marina. Der Hafenmeister war zudem so freundlich, für uns den Gepäcktransport zum Campingplatz zu erledigen – was uns glücklicherweise diesen letzten Kraftakt ersparte!

Glücklich angelandet an der Marina in Rochefort

Am Campingplatz angekommen hatten wir alle das Gefühl, uns noch an keinem Tag zuvor das Willkommensbier so sehr verdient zu haben. Ganz plötzlich war aus der beschaulichen Flussfahrt der letzten Tage an nur einem Tag eine wilde Küstenrudererfahrung geworden!

Freitag, 26. Juli: Ruhetag Rochefort / La Rochelle
Folgerichtig erkoren wir den kommenden Freitag zum ruderfreien Tag. Frank nutze die erste Morgendämmerung, um per Bahn nach Angoulême zu fahren und Auto und Hänger nachzuholen. Torsten und Olaf genossen einen etwas längeren Schlaf mit einem schönen Frühstück und Stadtspaziergang in Rochefort. Dort trafen wir uns am späten Vormittag mit Frank und fuhren per Auto ins gut 25 km entfernte La Rochelle – aber nicht ohne unterwegs auf diversen Zwischenstopps in Fouras, am Vortrag wasserseits noch unerreichbar, die lokalen Gegebenheiten genau in Augenschein zu nehmen. Denn es bestand nach wie vor die Idee, nicht ohne ein bisschen mehr echtes Küstenrudern die Heimreise anzutreten!

Die Hafeneinfahrt von La Rochelle – die wir leider nicht zu Wasser, sondern nur per Landausflug erreichen konnten

Den Hauptteil des Tages verbrachten wir im schönen Städtchen La Rochelle, mit Moules frites zu Mittag und ein bisschen Wehmut, dass es uns nicht gelungen war, diesen Ort und vor allem die beiden imposanten Hafentürme rudernd auf dem Wasser zu erreichen. Am Abend genossen wir den Sommer auf unserem Campingplatz – bei leckerem Essen und ein, zwei Bier, unsere Abenteuer des Vortages und die Pläne für den folgenden Samstag besprechend!

Samstag, 27. Juli: 6. Etappe - Rochefort – Fouras / Port du Nord (18 km)
Die Vor-Ort-Besichtigung in Fouras und genauen Erkundigungen über die Tidenzeiten und zu erwartende Windverhältnisse ließen uns zu der Einschätzung kommen, dass bei einem Startzeitpunkt nahe des Tidenhöchststandes am Morgen eine Küstenetappe möglich sein sollte. Wir starteten gegen 9 h, nachdem wir an der Marina bequem vom Uferweg das Boot, diesmal ohne Gepäck, zu Wasser bringen konnten. Die ca. 8 km bis zur Mündung legten wir wie geplant in knapp einer Stunde zurück – diesmal bei einem gänzlich veränderten Blick auf die Uferlinie und die umliegende Landschaft. Auch das Wasser wirkte mit seiner geringen Strömung geradezu zahm und harmlos. Wir ruderten ohne irgendwelche Schwierigkeiten der Küstenlinie in Richtung Norden folgend, von Schlamm am Ufer diesmal keine Spur. Auf ruhigem Atlantikwasser erreichten wir den südlichen Hafen von Fouras nach etwa einer weiteren halben Stunde Rudern und entschieden dort nach kurzer Beratschlagung, dass noch ausreichend Zeit wäre und es die Bedingungen erlaubten, die verbleibenden 6 km um die Halbinsel La Fumée bis zum nördlichen Hafen von Fouras zu fahren.

Entspannte Stimmung vor dem Südhafen von Fouras – die sorgfältige Planung zahlt sich aus

Immer mit gutem Blick auf die eindrucksvolle napoleonische Wasserfestung Fort Boyard ruderten wir auf nur leichter Dünung um die Landspitze und erreichten mit zum Schluss kräftig auffrischendem Schiebewind den in einer geschützten Bucht gelegenen Port du Nord. In der Ferne, ca. 20 km nördlich, erahnten wir die Hafenanlagen von La Rochelle – wobei uns mit Blick auf die dazwischenliegende große, freie Wasserfläche unzweifelhaft klar wurde, dass dies selbst mit der Nyholm nur ein schwer erreichbares Ziel gewesen wäre. Wir zogen also das Boot auf den Sand und erhielten bei den interessierten Hafenältesten eine Flasche lokalen Rosé samt dreier Gläser, um auf den gelungene Tourabschluss nach 200 km auf der Charente und dem Atlantik stilvoll anzustoßen!

Le Fin – den Nordhafen von Fouras sicher erreicht

Samstag / Sonntag, 27./28. Juli: Heimreise
Nach der Busfahrt zurück zum Campingplatz, Abbau des Zeltes und Verstauen des Gepäcks im Auto sowie einem abschließenden Mittagessen machten wir uns am frühen Nachmittag auf die Heimreise. Das Boot war in Fouras schnell verladen und der Weg ging weiter in Richtung Osten – ca. 1.200 km lagen bis Ulm noch vor uns. Wir stoppten zum Abendessen in einem entlang des Weges zufällig gewählten Örtchen mit filmreifer Kulisse und fuhren anschließend mit wechselnden Fahrern, soweit es die Müdigkeit noch zuließ. Nach ein paar kurzen Stunden Schlaf bei Chalon-sur-Saone, wo wir immerhin schon etwa die Hälfte der Fahrtstrecke absolviert hatten, rutschten wir die verbleibenden Kilometer bis Ulm am Sonntag zügig und ohne relevante Staus durch und fuhren am frühen Sonntag-Nachmittag auf den Hof des URCD!

Auch 2024 durften wir wieder eine tolle Ruderwanderfahrt erleben, bei der am Ende, trotz des großen Aufwandes und einiger Unwägbarkeiten, alles bestens geklappt hat und die uns mit vielen besonderen Erinnerungen zurücklässt!

Der Tourverlauf von Angoulême bis Fouras: 200 km auf Charente und Atlantik


 INFO  Bericht als PDF


Fotos: Charente-Team 2024

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Charente2024-05-Gepaeck
Charente2024-06-Zweierohne
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Charente2024-08-Kuehle Fuesse
Charente2024-09-Amerikaner
Charente2024-10-Fruehstueck in Chaniers
Charente2024-11-Saintes Germanicus
Charente2024-12-Picknick
Charente2024-13-St Savinien
Charente2024-14-Tonnay-Charente
Charente2024-15-Schwebefaehre
Charente2024-16-Muendung
Charente2024-17-Blick auf Fouras
Charente2024-18-Port-des-Barques
Charente2024-19-Rochefort Marina
Charente2024-20-La Rochelle
Charente2024-21-Fouras sud
Charente2024-22-LeFin
Charente2024-23-Charente et Atlantique